Wer sind die Menschen hinter den Projekten? Woran wird gerade gearbeitet? Welche Tipps können die Projektmacher anderen geben? Diese Woche bekommen wir einen Einblick in das „Land der Kulturen“.

Lichterkette e.V.: Integration von zwei Seiten statt als Einbahnstraße – die Idee ist sehr spannend, wie seid ihr darauf gekommen? Was hat euch inspiriert?

Land der Kulturen: Als Bildungskoordinatorin in einer Gemeinschaftsunterkunft hat Nadja Maki die Erfahrung gemacht, dass die klassischen edukativen und sozialen Kursangebote nicht mehr die tatsächlichen und aktuellen Bedürfnisse von Geflüchteten ansprechen. Diese suchen nach Möglichkeiten, gemeinsam mit Deutschen  eigenverantwortlich und bezahlt an Projekten mit gleichberechtigter Aufgabenverteilung teilzuhaben und einen eigenen Beitrag in der Gesellschaft zu leisten.  Auch geht unserer Meinung nach bei den natürlich richtigen und wichtigen Integrationsbestrebungen und -maßnahmen allzu oft das Bewusstsein dafür verloren, dass heterogene Sichtweisen und kulturelle Diversität auch eine wertvolle Ressource für unsere Gesellschaft sind. Es ist an der Zeit, Geflüchtete nicht länger als passive Gruppe zu stigmatisieren, sondern sie und ihre Fähigkeiten und Potentiale aktiv in den Prozess der interkulturellen Völkerverständigung einzubinden und ihnen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Dementsprechend wollten wir ein Projekt ins Leben rufen, das Menschen mit Fluchterfahrung gerade nicht  als Zielgruppe adressiert, der geholfen werden muss, sondern als bezahlte Teammitglieder auf Augenhöhe, die vor dem Hintergrund ihrer persönlichen  Erfahrungen und Kompetenzen die damit validen Projektinhalte erarbeiten und den Zielgruppen ihr Wissen vermitteln. Durch den direkten Kontakt mit den  Zielgruppen können besonders gut Berührungsängste und Vorurteile abgebaut werden. Und unsere Teammitglieder können ihre durch die Erfahrungen von Krieg, Flucht und Stigmatisierung als hilfsbedürftiger Flüchtling brüchig gewordene Identität wieder festigen.

LK: Welcher Moment eines solchen Perspektivwechsels hat euch am meisten beeindruckt?

LdK: Bei Menschen mit Fluchterfahrung ist es der eben beschriebene Rollentausch, den wir erreichen wollen – und bei unseren Zielgruppen ist unser Ziel ein spielerisch erzeugter Perspektivwechsel, der zum Nachdenken, zu mehr Verständnis und Geduld, zu Toleranz und Mitmenschlichkeit anregt. Uns geht es um die Erzeugung von Empathie, um das Nacherleben von Emotionen, die Menschen bewegen, wenn sie sich gewissermaßen ad hoc in einer völlig neuen und fremdsprachigen Umgebung unter emotionalem und zeitlichem Druck zurechtfinden müssen. Gerade ist unser Pilotprojekt angelaufen und wir sind sehr dankbar, dass wir mit unserem Format eines durch Neuzugewanderte betreuten Parcours offenbar genau das erreichen können, was wir erreichen wollen: Ohne deren Betreuung und Hilfe wäre das Gros der Parcours-Teilnehmer aufgeschmissen, wenn sie sich unter Zeitdruck auf einem fremdsprachigen Zugfahrplan, in einem unbekannten kalendarischen System zurechtfinden oder ein fiktives Formular ausfüllen müssen. Gerade die Diskrepanz zwischen dem spielerischen Nachempfinden von kniffeligen Herausforderungen und unangenehmen Gefühlen durch die Teilnehmenden und deren Bewusstwerden, dass diese Erfahrungen für ihr Gegenüber kein Spiel, sondern die Realität war, hat genau zu den Aha-Effekten geführt, die wir uns erhofft hatten.

LK: Was steht bei euch im Jahr 2018 an?

LdK: Bis Ende April führen wir unser Projekt als Pilotprojekt durch und evaluieren unseren Parcours. Ab Mai wollen wir dann flächendeckend an Schulen, auch Vereinen und Unternehmen, unseren Parcours durchführen und ihn in Ausstellungen und Veranstaltungen der breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Wir starten dabei hier in München, auch auf einer ganzen Reihen von sommerlichen Outdoor-Events, und wollen unseren Wirkungsbereich dann über den Landkreis, den Bezirk Oberbayern und schließlich bundesweit ausdehnen. Wir haben schon eine ganze Reihe an Schulen, die gerne teilnehmen wollen. Und mit den interkulturellen Opernproduktionen unseres Kooperationspartners Zuflucht Kultur können wir sogar bis in das EU-Ausland auf Tournee gehen.

LK: Was sind Herausforderungen, denen ihr momentan begegnet?

LdK: Auch wenn wir hochmotiviert sind, werden wir personell nicht in der Lage sein, das Projekt in einem begrenzten Zeitraum auch tatsächlich flächendeckend durchzuführen. Die Herausforderung liegt also in der Rekrutierung kompetenter, zuverlässiger Partnerorganisationen, die nach Schulungen durch uns den Parcours qualitativ hochwertig vor Ort implementieren. Gelingt uns dies nicht in vollem Umfang, stellt das für uns zunächst kein Hindernis dar: Wir werden dann mit einem »Land der Kulturen«-Bus und unserem Kernteam eine Roadtour starten, um ausgewählte Standorte zu erreichen. Weniger für die Qualität, vielmehr für die Reichweite und Nachhaltigkeit unseres Vorhabens sind die uns zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen ausschlaggebend und können zum Hindernis werden. Aber schließlich ist jeder einzelne Mensch, den wir erreichen, bedeutend, also ist auch dieses potentielle Hindernis im Grunde kein Risiko.

LK: Wie können begeisterte Leser des Interviews euch unterstützen?

LdK: Wir sind für jede Form der Unterstützung dankbar; ob aktiv, ideell oder monetär. Wir laden alle Neuzugewanderten herzlichst ein, in kurz-, mittel- oder langfristiger Mitarbeit unser Projekt mitzugestalten. Wir freuen uns über Kooperationen mit Vereinen und gleichgesinnten Initiativen, die mit uns die bundesweite Implementierung personell in Angriff nehmen. Erzählt von unserem Projekt Lehrkräften und Schulleitungen – wir besuchen weiterführende Schulen mit unserem 90minütigen Parcours kostenfrei. Wir bieten den Parcours auch als interkulturellen Workshop für Unternehmen an, die dadurch ihrerseits soziale Verantwortung übernehmen können, indem sie etwa die Kosten für die Parcours-Durchführung an Schulen in ihrer Umgebung übernehmen. Schließlich suchen wir dringend einen Partner, ob öffentliche Hand oder freie Wirtschaft, um einem jungen Syrer, der mit Leib und Seele unser Projekt mitgestaltet, eine langfristige Projektstelle im wirWerk und damit eine berufliche Perspektive zu ermöglichen. Und natürlich sind wir für Spenden an das wirWerk dankbar, die die Umsetzung unseres Projektes insgesamt ja erst möglich machen.

LK: Was würdet ihr Projektmachern, die mit ihrer Idee noch ganz am Anfang stehen, auf den Weg geben?

Oft ist es ja so, dass man eine Art Tunnelblick entwickelt und externe Kritik gerne als Frontalangriff gegen das „Baby“ und die eigene Person wertet. Es ist also sehr wichtig, eine gute Balance zwischen emotionaler Involvierung und uneingeschränkter Überzeugung vom Projekt einerseits und andererseits der Bereitschaft zu Kritikfähigkeit und möglicherweise des völligen konzeptionellen Umkrempelns von Projektteilen zugunsten des Gesamtprojekts zu entwickeln. Und schließlich ist es ratsam, sich bei der Entwicklung seines eigenen Projektes am so genannten „Golden Circle“ von Simon O. Sinek zu orientieren. Der britisch-US-amerikanische Unternehmensberater rät in seinen TED Talks; „Start with Why“ – nur diejenigen Projektideen („What“) und Umsetzungspläne („How“) sind  erfolgversprechend, die auf einem soliden Fundament der Überzeugung („Why“) aufbauen.

Vielen Dank euch für das Interview!